Interview mit Mladen Gladić, Die Welt, Samstag 31. Juli 2021, Seite 25.
Wolfgang Streek war bis 2014 Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. „Zwischen Globalismus und Demokratie“ (Suhrkamp) ist ein Plädoyer für weniger Zentralismus. Ein Gespräch darüber, was stecken geblieben ist und wie es in den Fluß kommen könnte.
DIE LITERARISCHE WELT: Herr Professor Streeck, gerade hatten wir gelernt, dass heute fast alles „neoliberal“ ist: Selbstverwirklichung, Fitness sowieso, vor allem aber Identitätspolitik. Jetzt sagen Sie, das ist schon vorbei.
WOLFGANG STREECK: Der Neoliberalismus, von dem ich spreche, ist eine Bewegung, die in den 30er Jahren entstand, mit Leuten wie Friedrich August Hayek und Ludwig von Mises. Denen ging es darum, die liberale Weltwirtschaft, von der sie sich vorstellten, dass sie 1914 bestanden hätte, wiederherzustellen. Dem standen die nach 1918 aus den Imperien herausgebrochen Nationalstaaten im Weg. Der Neoliberalismus war gleichzeitig ein Anti-Sozialdemokratismus und ein Anti-Nationalismus. Seine Vertreter fürchteten, dass die Sozialdemokratie sich der Nationalstaaten bemächtigt und so den freien Weltmarkt durch protektionistische Eingriffe und Sozialpolitik unterminiert. (…)