Investitionsstau ist Ergebnis neoliberaler Politik

Radio-interview mit Jürgen Zurheide, Deutschlandfunk, Februar 29, 2020.

Die Infrastruktur in Deutschland ist in keinem guten Zustand. Angesichts des enormen Investitionsstaus stehen derzeit sogar Schuldenbremse und Schwarze Null zur Disposition. Eine Neuverschuldung des Staates sei jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft, auf die die Regierung keinen Einfluss hat, gibt emeritierte Direktor des Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, Wolfgang Streeck, zu bedenken. Zudem seien mit neuen Schulden allein längst nicht alle Probleme gelöst.

Jürgen Zurheide: Herr Streeck, wir diskutieren gerade in Deutschland wieder heftig über Schuldenbremse oder möglicherweise die Abschaffung für Investitionen. Wie groß ist der Investitionsbedarf in Deutschland?

Wolfgang Streeck: Also daran kann ja gar kein Zweifel bestehen: Auf kommunaler Ebene gibt es einen gewaltigen Investitionsstau. Wir hier im Rheinland sehen ja auch, wie die Brücken anfangen, für Lastwagen gar nicht mehr passierbar zu sein, weil man die nachrüsten muss. Wir haben in den Jahren der neoliberalen Revolution, wenn man das so nennen will, einfach vergessen, dass Dinge laufend gewartet werden müssen, um auf diese Weise Geld zu sparen. Die Bahn ist ein wunderbares Beispiel dafür, da gibt es einen Investitionsstau von Ausmaßen, die man überhaupt nicht beschreiben kann, weil die Stellwerke nicht mehr funktionieren, die Technologie veraltet ist und so weiter. (…)

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Linke Politik im Schachmatt?

Gespräch mit Clemens Lukitsch, Grautöne, November, 2018.

Der Soziologe Streeck analysiert einen zunehmend der demokratischen Kontrolle entzogen Kapitalismus. Auf die wirtschaftlichen, folgen die politische Erschütterungen in den westlichen Gesellschaften – der Aufstieg regressiver Parteien in Europa, die Wahl Trumps in den USA. Grautöne fragt Streeck, wie viel Zeit noch „gekauft“ werden kann, bis der Konsens des „demokratischen Kapitalismus“ der Nachkriegszeit in sich zusammenfällt. In dem Gespräch geht es auch darum, welche Projekte eine auf soziale Gerechtigkeit abzielende Verteilungspolitik angehen müsste, was die Bewegung #aufstehen dazu beitragen kann und warum im linken Lager ein scharfer Konflikt zwischen Identitäts- und Verteilungsfragen entbrannt ist.

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The Future of Capitalism

Podcast about the trajectory of capitalism and democracy, Center for Urban Research and Austerity, January 15, 2018

A talk with Wolfgang Streeck, Professor emeritus of sociology. From 1995 to 2014 he was Director at the Max Planck Institute for the Study of Societies in Cologne, Germany. His latest book is How Will Capitalism End? Essays on a Failing System (Verso, 2016).

Drawing widely on classics from Schumpeter, Polanyi and Marx, Streeck offers an account of the lineage of democracy, capitalism and the state since the post-war period, identifying the deeply de-democratising and self-destructive trajectory in contemporary capitalist development. Against liberal received wisdom, Streeck argues that democracy and capitalism are anything but natural partners or easy bedfellows, but have in fact been in constant historical tension. The post-war social democratic settlement represents an unusual “fix” to this tension that was relatively favourable to the popular classes, or “wage dependent”, parts of the population. However, this fix unravelled in the 70’s as the capitalist, or “profit-dependent”, class rediscovered its agency and, with neo-liberal globalisation and financialisation, began to shape a world in its interests.

Streeck argues that these processes are putting in danger not only the existence of democratic politics, which is increasingly circumscribed by the need for states to appease financial markets, but also the future of capitalism itself. Streeck’s vision for what is to come is gloomy. Capitalism continues to erode the social foundations necessary for its own sustenance, as well as the resources needed to collectively construct an alternative order. Institutional and policy fixes to capitalist contradictions are running out. We can expect the result to be the development of an increasingly uncertain and under-institutionalised social order, reminiscent of a Hobbesian state of nature, where individual agency and creativity becomes fundamental to meet basic needs and achieve even minimal goals. Politics offers hope of rupture, but is itself increasingly constrained and defiled by capitalist development and rationality. (Podcast on soundcloud or itunes)

Nicht ohne meine Identität? Die Zukunft der Nationalstaaten

SWR2 Aula, 29. Oktober 2017

Sind die europäischen Nationalstaaten nur noch museale Überbleibsel einer vergangenen Epoche? Die Globalisierung hat schließlich die Tendenz, Nationalstaaten zu überwinden, gelten sie doch mit ihren eigenen Identitäten, Kulturen und Ökonomien als Hemmschuhe für einen einheitlichen Weltmarkt und einen europäischen Superstaat, der alle nationalen Identitäten getilgt hat. Dabei wird übersehen, dass die Nationalstaaten eine Alternative sind zum Traum von neoliberaler Grenzenlosigkeit. Professor Wolfgang Streeck, emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, beschreibt diese Alternative.

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Niemand wird freiwillig Arbeiter

Niemand wird freiwillig Arbeiter. In: Greffrath, Mathias (Hrsg.), RE: Das Kapital: Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert. München: Verlag Antje Kunstmann, 2017, S. 111-128.

Verlagsinformationen

Zuvor erschienen als „Das Verhältnis von Kapitalismus und Gewalt“, Deutschlandfunk, 20. November 2016

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Ungekürztes Manuskript

„Alles kommt einmal zum Ende“

Gespräch mit Mathias Greffrath im Deutschlandfunk, 12. April 2015

Wolfgang Streeck, Sie sind emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Vor zwei Jahren haben Sie ein Buch geschrieben, „Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“. Und vor einem Jahr erschien ein Aufsatz mit dem Titel „Wie wird der Kapitalismus enden?“ Nicht, ob er enden wird, ist da die Frage, sondern wie er enden wird. Das ist ja eigentlich eine starke Aussage. Sie sind Soziologe. Was unterscheidet eigentlich den Blick eines Soziologen auf die Krise und auf den Kapitalismus vom Blick eines Ökonomen?

Also zunächst mal würde ich sagen: Was der Soziologe kann und der Ökonom können sollte, ist, seine Beobachtung in einen historischen Kontext zu setzen. Das anscheinend Sensationelle des Gedankens über das Ende des Kapitalismus ist ja eigentlich nur, dass man sich klar macht, dass diese Gesellschaftsformation irgendwann Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa und Amerika angefangen hat, und alles, was geschichtlich anfängt, steht in dem Verdacht, dass es irgendwann auch mal zum Ende kommt. Und ich denke, dass auch die Ökonomen eigentlich – und die klassische Ökonomie hat das ja gewusst. Die klassische Ökonomie hat ja immer auch über den Übergang zu einer neuen Gesellschaftsformation in einer dynamischen, modernen Gesellschaft spekuliert, das beginnt mit Ricardo, Marx, Sombart, was weiß ich alles. Und insofern ist das gar nicht dramatisch. Dass man heute Gründe hat, darüber verschärft nachzudenken, darüber werden wir uns ja noch unterhalten. (…)

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