Gespräch mit Mathias Greffrath im Deutschlandfunk, 12. April 2015
Wolfgang Streeck, Sie sind emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Vor zwei Jahren haben Sie ein Buch geschrieben, „Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“. Und vor einem Jahr erschien ein Aufsatz mit dem Titel „Wie wird der Kapitalismus enden?“ Nicht, ob er enden wird, ist da die Frage, sondern wie er enden wird. Das ist ja eigentlich eine starke Aussage. Sie sind Soziologe. Was unterscheidet eigentlich den Blick eines Soziologen auf die Krise und auf den Kapitalismus vom Blick eines Ökonomen?
Also zunächst mal würde ich sagen: Was der Soziologe kann und der Ökonom können sollte, ist, seine Beobachtung in einen historischen Kontext zu setzen. Das anscheinend Sensationelle des Gedankens über das Ende des Kapitalismus ist ja eigentlich nur, dass man sich klar macht, dass diese Gesellschaftsformation irgendwann Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa und Amerika angefangen hat, und alles, was geschichtlich anfängt, steht in dem Verdacht, dass es irgendwann auch mal zum Ende kommt. Und ich denke, dass auch die Ökonomen eigentlich – und die klassische Ökonomie hat das ja gewusst. Die klassische Ökonomie hat ja immer auch über den Übergang zu einer neuen Gesellschaftsformation in einer dynamischen, modernen Gesellschaft spekuliert, das beginnt mit Ricardo, Marx, Sombart, was weiß ich alles. Und insofern ist das gar nicht dramatisch. Dass man heute Gründe hat, darüber verschärft nachzudenken, darüber werden wir uns ja noch unterhalten. (…)