Abschiedsvorlesung: „Gesellschaftssteuerung heute“

Abschiedsvorlesung als Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln, 30. Oktober 2014

Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2015, 63-80

Als ich anfing, Soziologie zu studieren, im Jahr 1966, habe ich mir das Fach mehr oder weniger als wissenschaftliche Anleitung zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse vorgestellt. Im Hintergrund meiner Entscheidung für die Soziologie stand eine Überzeugung, die sich irgendwie in den Teilen meiner Generation verbreitet hatte, die später die „68er“ genannt werden sollten: dass die demokratischen Freiheiten, die sozialen Rechte der „kleinen Leute“ und die neue Friedfertigkeit der damaligen Gesellschaft prekär waren und verteidigt werden mussten; dass dies von den damals Regierenden nicht unbedingt zu erwarten war; und dass ohne breite politische Beteiligung von unten die Katastrophen der nahen Vergangenheit, die man nicht mehr miterlebt hatte, deren Spuren aber noch überall zu besichtigen waren, sich wiederholen könnten. Von der Soziologie insbesondere erhoffte man sich Aufklärung über den tatsächlichen Charakter der Gesellschaft, in der man lebte: über das, was einem von denen, die Bescheid wussten, verschwiegen wurde, und darüber, welche Kräfte einer besseren Zukunft im Wege standen und wie man mit diesen fertig werden konnte – ein Wissen, das man an diejenigen weitergeben wollte, die noch keinen Zugang zu ihm hatten. Theoretische, politische und technische Fragen verschoben sich ineinander und waren am Ende nicht mehr zu unterscheiden: Wie war es um die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Nachkriegsgesellschaft bestellt? Wer regierte wirklich? Was stand hinter dem Antikommunismus der Lehrpläne und der herrschenden Rhetorik? Was musste man lernen, was musste wer tun, um autoritäre Traditionen zu beenden, den gesellschaftlichen Fortschritt voranzubringen und der Ungleichheit der Klassenlagen und Lebenschancen ein Ende zu setzen? (…)

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